Im Interview: Dipl.-Ing. (FH) Paul Rahl

Mutingfunktionen bei Sicherheitslichtschranken

Paul Rahl, Dipl.-Ing. (FH), ist Inhaber des Ing.-Büros Paul Rahl für Automatisierungstechnik mit Schwerpunkt Sicherheit von Maschinen nach Maschinenrichtlinie 2006/42/EG.

Stückzahl und Taktzeit stehen im produzierenden Gewerbe stark im Focus. Immer mehr geht der Trend zu vollautomatischen Anlagen. Sie bilden mit Hilfe von trennenden Schutzeinrichtungen geschlossene Systeme und ein Zugang für Personen wird überwiegend für Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten, sowie Störungsbeseitigung benötigt. Zugänge werden meist mittels verriegelter trennender Schutzeinrichtungen (im allgemeinen Sprachgebrauch oft auch als Schutztür mit Sicherheitsschalter genannt) realisiert, wobei durch das Öffnen einer verriegelten trennenden Schutzeinrichtung die gefährdenden Maschinenfunktionen beendet werden müssen. Jedoch erfordern auch solche Anlagen, sicherheitstechnisch gesehen bestimmte Maßnahmen, weil das zu verarbeitende Material ebenso einen Zugang zur Anlage, wie auch für das fertige Produkt eine Mög- lichkeit zum Ausschleusen vorgesehen werden muss. Wenn dies nicht manuell geschieht, muss also auch die Sicherheitstechnik, so weit möglich automatisiert werden. Eine gute Möglichkeit zur Zugangskontrolle an solchen Stellen, bietet ein Lichtvorhang oder Lichtgitter mit einer Mutingfunktion.

Gibt es in der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG, bzw. in den zu ihr harmonisierten Normen zur Sicherheit von Maschinen denn eine Vorgabe, wann eine Mutingfunktion eingesetzt werden darf?

Die Maschinenrichtlinie verpflichtet im Anhang I den Hersteller von Maschinen oder seinen Bevollmächtigten, eine Risikobeurteilung vorzunehmen. Die Maschine muss dann unter Berücksichtigung dieser Risikobeurteilung konstruiert und gebaut werden. Die im Anhang I aufgeführten grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen sind natürlich bindend und die damit gesetzten Ziele zur Risikominderung sind dem Stand der Technik entsprechend umzusetzen.

Wenn durch die Öffnungen zum automatischen Transport von z.B. Material in oder aus der Maschine auch Personen in den Gefährdungsbereich hineinlangen könnten oder sogar durch diese Öffnungen in die Maschine und somit zu Gefährdungsbereichen kommen könnten, sind Maßnahmen zur Risikominderung zu treffen.

Aus der Risikobeurteilung des Herstellers der Maschine kann sich dann die Erfordernis eines Lichtvorhangs für diese Öffnungen ergeben, und damit zwischen Material und Person unterschieden werden kann, eine Mutingfunktion.

Gibt es detaillierte Vorgaben wie solch eine Funktion umzusetzen ist?

In den Normen zur Sicherheit von Maschinen wird man da schon fündig. Die Typ-A-Norm EN ISO 12100 sagt aus, dass eine Maschine nicht arbeiten darf, solange der Lichtvorhang unterbrochen ist, ausgenommen in 'Sperrphasen'. Mit 'Sperrphase' ist in dieser Norm die Mutingphase gemeint mit einem Verweis auf EN ISO 13849-1, Sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen, Abschnitt 5.2.5 Mutingfunktion. In EN ISO 10218-2, Sicherheitsanforderungen an die Integration von Robotersystemen, sind Vorgaben über technische Schutzmaßnahmen an Öffnungen für den Materialfluss im Abschnitt 5.10.7 und an das Muting im Abschnitt 5.10.10. Ein weiteres Beispiel wäre die Typ-C-Norm EN 415-7 Sicherheit von Sammelpackmaschinen. Hier sind im Anhang C Methoden zur Sicherheit großer Öffnungen beschrieben und im Abschnitt C.2 detaillierte Angaben über Anordnung des Lichtvorhangs, der Muting-Sensoren und welche Abstände einzuhalten sind. Anhang D legt dann die Anforderungen an die Mutingfunktion fest. Dann sind in EN 62046, wo es um Anwendung von Schutzausrüstungen zur Anwesenheitserkennung von Personen geht, im Anhang E zusätzliche Empfehlungen für die Konfiguration von photoelektrischen Überbrückungs-Sensoren bei Einsatz zur Ermöglichung des Zugangs von Material, also sehr detaillierte Empfehlungen für die Konfiguration von Überbrückungs-Sensoren, also den Muting-Sensoren.

EN 62046 ist doch keine harmonisierte Norm, oder ...

... ja, ja da haben Sie recht. Genau gesagt meine ich DIN EN 62046: 2013-04 (IEC 44/679/CD: 2012), ein Entwurf aus dem Jahre 2012. Für diesen ist vorgesehen, ihn als Norm mit der Bezeichnung EN 62046 herauszugeben. Aber ein Entwurf ist besser als gar nichts. Und die Empfehlungen im informativen Anhang E sind außerordentlich detailliert und sehr sehr hilfreich für Anwendungen wo es keine Typ-C-Norm gibt. Dann noch ein Hinweis zu den Anhängen C und D in EN 415-7. Diese Anhänge sind normativ, was bedeutet, dass bei Anwendung dieser Norm auch verpflichtend diese Anhänge anzuwenden sind. Bei informativen Anhängen besteht diese Pflicht ja nicht.

Worauf muss man denn besonders achten, bzw. was wird aus Ihrer Sicht oft falsch gemacht?

Normalerweise werden Fehler mehr im Umfeld der Abstände zwischen Sensoren, Maschinenteilen und gefördertem Material gemacht und weniger in der Schaltungstechnik, denn die Schaltungstechnik gibt in der Regel ja die Hersteller von Lichtvorhängen mit Mutingfunktionen vor. Hier sollten unbedingt die Abstände, wie z.B. in EN 415-7 Anhang C oder EN 62046 Anhang E, ich meine jetzt hier natürlich wieder den Entwurf DIN EN 62046: 2013-04 (IEC 44/679/CD: 2012), ein- gehalten werden. Vorteilhaft für viele Maschinenkonstrukteure können Lichtvorhängen mit Muting- Sensoren sein, die bereits durch den Hersteller dieser Komponenten fest auf die Abstandsanforderungen der Normen eingestellt sind.

Wie ist es, wenn die Transporteinheit nicht immer mit einer gleich hohen Ladung beladen ist und so die Gesamthöhe variiert?

Transporteinheiten, Paletten usw. mit unterschiedlicher Ladungshöhe hat man natürlich bei der Risikobeurteilung zu berücksichtigen. Das heißt, es wäre zu beurteilen, ob in so einem Fall überhaupt ein zusätzliches Risiko besteht, das zu mindern wäre.

Was kann man aus Ihrer Sicht tun, um diese Problematik zu lösen?

Lösungen hängen von der Höhe des zusätzlichen Risikos ab. Hier muss auf alle Fälle eine individuelle Einzelfallbetrachtung durchgeführt werden. Lösungsansätze findet man hier z.B. auch im Entwurf DIN EN 62046: 2013-04 (IEC 44/679/CD: 2012). Aber auch hier steht, dass zusätzliche Maßnahmen erforderlich sein können, ohne diese aber zu konkretisieren.

Auch das Thema, dass bei großen Öffnungen Personen einen Zutritt zum inneren der Maschine durch Erklettern einer Transporteinheit oder Palette sich verschaffen können, ist mit zu betrachten.

Sind die Muting-Sensoren denn überhaupt sicherheitsbezogene Bauteile?

Muting-Sensoren sind Bestandteil einer Mutingfunktion, und eine Mutingfunktion ist eine Sicherheitsfunktion und somit gehören die Muting-Sensoren zu den sicherheitsbezogenen Teilen einer Steuerung und gehen deshalb auch in die Berechnung der durchschnittlichen Wahrscheinlichkeit eines gefahrbringenden Ausfalls je Stunde einer Sicherheitsfunktion ein, wie es eben die Normen für sicherheitsbezogene Teile von Steuerungen EN ISO 13849-1 oder EN 62061 fordern.

Lichtvorhänge mit Muting-Funktion zum Absichern größer Öffnungen müssen ja auf den speziellen Einsatzfall hin konfiguriert bzw. programmiert werden. Welche Verfahren geben dazu die Normen vor.

Da gibt es keine konkreten Vorgaben seitens der Normen. Aber Betreiber von Maschinen verlangen zunehmend, dass im Falle eines Austausches von Komponenten die Konfiguration bzw. Pro- grammierung schnell und zuverlässig durch das Instandhaltungs- bzw. Reparaturpersonal vorgenommen werden muss, um die Zeitdauer eines Maschinenstillstandes so gering wie möglich zu halten.

Hier sind Lösungen gefragt, wo weder mit in Lichtvorhängen eingebauten Schaltern oder über eine Schnittstelle zu Laptops die Konfigurierung bzw. Programmierung erfolgt, sondern z.B. über codierbare Anschluss-Stecker, was dann zusätzlich der Sicherheit dient, weil damit Konfigurier- bzw. Programmierfehler beim Austausch ausgeschlossen sind.

Beschriebene Grafik einer Sicherheitslichtschranke